Ohne Schutzmacht USA: Was Europa jetzt fürs Militär tun muss

FAQ

Verteidigung ohne USA:Was Europa jetzt für sein Militär tun muss

von Nils Metzger
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Die EU-Staaten planen massive Rüstungsausgaben - auch um unabhängiger von den USA zu werden. Wo sind die größten militärischen Lücken? Und welche Projekte wären Geldverschwendung?

EUFOR, Uniform, Logo
Noch ein weiter Weg bis zur EU-Armee: Eufor-Soldaten bei einer Übung im Jahr 2022.
Quelle: Imago

Am Donnerstag kommen die EU-Staaten in Brüssel zu einem Sondergipfel zusammen. Neben Überlegungen zu einem Waffenstillstand in der Ukraine wird es dort vor allem um umfangreiche Investitionen in die Wiederaufrüstung Europas gehen - angesichts der russischen Bedrohung und einem immer unzuverlässiger auftretenden Verbündeten auf der anderen Seite des Atlantiks.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte am Montag:

Wir brauchen eine massive Verstärkung unserer Verteidigung, das steht außerfrage. Wir wollen dauerhaften Frieden, aber dauerhafter Frieden kann nur auf Stärke aufgebaut werden, und Stärke beginnt damit, dass wir uns selbst stärken.

Ursula von der Leyen

Zusätzlich zu nationalen Bemühungen der Mitgliedsstaaten ist eine deutliche Ausweitung der gemeinsamen europäischen Rüstungsbemühungen, etwa des seit 2017 bestehenden Europäischen Verteidigungsfonds, möglich. Wo sind Europas größte Schwächen und welche Schritte jetzt am sinnvollsten?
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Wo ist die EU militärisch am meisten auf die USA angewiesen?

Laut dem Thinktank IISS gaben die europäischen Staaten 2024 457 Milliarden Dollar für Verteidigung aus, immerhin beinahe die Hälfte der US-Ausgabe in Höhe von 968 Milliarden Dollar. Trotzdem gibt es ganze Fähigkeitsbereiche, bei denen sich die Europäer bislang weitgehend auf die USA verlassen. Das betrifft vor allem diese Bereiche:
  • Strategischer Lufttransport, um Soldaten und Gerät schnell und weltweit verlegen zu können
  • Aufklärung, insbesondere Satelliten-basiert
  • Weitreichende Raketen, um Ziele innerhalb Russlands treffen zu können
  • Luftverteidigung, insbesondere gegen Marschflugkörper oder Drohnen
Ronja Kempin, Expertin für europäische Sicherheitspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, sagt ZDFheute:

Ohne die Fähigkeiten der USA sind die Europäer quasi blind. Sie sind nicht in der Lage, sich einen eigenen Überblick darüber zu verschaffen, was die Gegenseite tut.

Ronja Kempin, Stiftung Wissenschaft und Politik

In manchen Bereichen haben die Europäer bereits Programme gestartet, um eigene Fähigkeiten aufzubauen - etwa die "European Sky Shield Initiative" zur Raketenabwehr oder das "Elsa"-Programm, das weitreichende Waffen entwickeln soll. Bis es einsatzbereite Ergebnisse gibt, werden noch einige Jahre vergehen. Die viel diskutierte Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland ab 2026 soll eine der Lücken temporär stopfen, doch Trump könnte dieses Angebot leicht wieder zurücknehmen.
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Welche Verteidigungsausgaben sollten jetzt Priorität haben?

Nicht nur Deutschland, sondern viele EU-Staaten haben ihre Streitkräfte über Jahrzehnte unterfinanziert. Diese Lücken verglichen mit dem Kalten Krieg belaufen sich auf Hunderte Milliarden Euro. Es müssen also zwingend Prioritäten gesetzt werden.
Für Kempin sollte es akut darum gehen, die Ukraine zu stärken. "Munition, Munition und Munition", seien darum ihre ersten drei Prioritäten. Neben der Beseitigung der bekannten europäischen Fähigkeitslücken sollte es im nächsten Schritt um Zukunftstechnologien wie künstliche Intelligenz und den Schutz kritischer Infrastruktur gehen.
Was laut Kempin auf jeden Fall vermieden werden sollte: große Summen in "Pet Projects" einzelner Mitgliedsstaaten zu stecken - etwa Flugzeugträger. Man dürfe auch "nicht wieder den alten, ungelösten Streit aufmachen zwischen 'kaufen, was auf dem Markt verfügbar' ist und 'nur in Europa hergestellte Fähigkeiten kaufen'", betont Kempin. "Nur ein abgestimmtes, pragmatisches Vorgehen macht kurzfristig Sinn."
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Ist Europas Rüstungsindustrie auf diese Herausforderung vorbereitet?

Die jüngsten konfusen Botschaften aus dem Weißen Haus in Richtung Europa sorgten für einen deutlichen Anstieg der Aktienkurse europäischer Rüstungshersteller. Ihre Auftragsbücher sind über Jahre gefüllt und deutlich mehr Kapazitäten nötig.
Dabei ist der europäische Rüstungsmarkt alles andere als effizient und war jahrzehntelang kein großer Gewinnbringer. Vereinfacht gesagt: sehr viele kleine Unternehmen produzieren zu viele verschiedene, teure Produkte in geringen Stückzahlen. Produktion erfolge auf Bestellung, nicht auf Vorrat - mit entsprechend langen Vorlaufszeiten, sagt Kempin.

Noch immer beschaffen die Mitgliedstaaten weit über 80 Prozent ihrer Rüstungsgüter national. Das hat Folgen: hohe Kosten und keine Interoperabilität.

Ronja Kempin, Stiftung Wissenschaft und Politik

Immer wieder waren Erfolgsgeschichten europäischer Kooperation wie die Gründung von EADS/Airbus oder die Entwicklung der Militärflugzeuge Eurofighter oder A400M von Verteilungskämpfen und Rückschlägen geprägt. Aktuell laufen mehrere solcher multinationalen Projekte, darunter FCAS für ein neuartiges Kampfflugzeug oder MGCS für einen neuen europäischen Kampfpanzer.
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Wie können die EU-Staaten besser militärisch kooperieren?

Zwar hat die Nato in vielen Bereichen verbindliche Standards gesetzt, von Kalibertypen bis zu Materialeigenschaften. In der EU gibt es trotzdem einen Wildwuchs an länderspezifischen Vorgaben, die dafür sorgen, dass Soldaten im Kriegsfall weniger effektiv Seite an Seite kämpfen.
"Die Streitkräfteintegration in Europa stockt seit Jahren", sagt Kempin. Trotzdem gibt es Strukturen, auf die man aufbauen könnte - etwa die EU-Battlegroups oder die 5.000 Soldaten umfassende Schnelle Eingreiftruppe RDC, die in diesem Jahr erstmals voll einsatzbereit sein soll.
Noch gibt es aber praktische Hürden, weshalb etwa die seit 2004 bestehenden EU-Battlegroups noch nie tatsächlich zum Einsatz gekommen sind. "Die EU hat kein eigenes Hauptquartier, das in der Lage wäre, eine größere Einheit wie die RDC in den Einsatz zu schicken", erklärt Expertin Kempin. "Der so genannte Militärische Planungs- und Durchführungsstab der EU ist dafür zu klein. Die Mitgliedstaaten stellen seit Jahren nicht das geforderte Personal für das EU-Hauptquartier zur Verfügung."
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Ist eine gemeinsame EU-Armee absehbar?

Obwohl politische Forderungen in diese Richtung zuletzt zugenommen haben, sind gemeinsame europäische Streitkräfte kaum realistisch, bevor nicht viele der vorgelagerten Probleme geklärt sind.
"Der Weg dorthin ist noch sehr weit. Mitgliedstaaten halten an nationalen Vorrechten fest. Auch die Frage der demokratischen Legitimation ist bislang vollkommen ungeklärt", so Kempin. Gleichwohl könnten integrierte Streitkräfte ein Weg sein, um Kosten zu sparen und gleichzeitig die Einsatzfähigkeit zu verbessern.
All das sind mehr Baustellen, als ein einzelner Gipfel lösen könnte. Und neben mehr Geld sind vor allem strukturelle Veränderungen gefragt, die viel Entgegenkommen von allen EU-Mitgliedern erfordern.
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