Interne Papiere: Bundeswehr hat massive Probleme bei Reservisten
Exklusiv
Interne Papiere:Bundeswehr hat massive Probleme bei Reserve
von Julia Klaus und Nils Metzger
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Die Reserve der Bundeswehr braucht viel mehr Personal. Doch interne Papiere stellen der Verwaltung ein verheerendes Zeugnis aus, die Folge sei ein "erheblicher Reputationsschaden".
Wer der Bundeswehr-Reserve beitreten möchte, braucht Geduld – und einen langen Atem, wenn es um Bürokratie geht: Papierkram und Wartezeit statt Übungen und Ausrüstung. 07.05.2025 | 11:52 min
Matthias Schütz steht auf einem Hügel bei Marktbergel in Bayern und erklärt seinen Reservisten, wie man sich mit Kompass und Karte im Gelände zurechtfindet. Vorbereitet sein für den Kriegs- und Spannungsfall - das ist das Ziel. Schütz möchte sich gern noch mehr engagieren, will wieder als aktiver Soldat in die Truppe - eine sogenannte Beorderung. Dafür hat er Anträge gestellt, wartet nun seit einem Jahr auf eine Entscheidung. Gegenüber ZDF frontal sagt er:
Man muss über jeden Reservisten dankbar sein, der hier teilnimmt. Und deswegen müsste dann auch viel mehr gemacht werden, dass die Reserve Zulauf kriegt.
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Matthias Schütz, Reservist
Doch die Reserve steht bei der "Zeitenwende" eher im Abseits. Im Koalitionsvertrag heißt es lediglich, die Reserve und der Heimatschutz sollten gestärkt werden. Dabei ist sie zentral, um Deutschland im Kriegsfall verteidigen zu können. Reservisten müssten kritische Infrastruktur im Inland bewachten und Soldaten an der Front ersetzen. In der Ukraine etwa wäre die Verteidigung des Landes ohne Reserve undenkbar - eine solide Ausbildung ist deshalb unerlässlich.
Reservistenverband fordert eine Million Reservisten
Aktuell sind rund 51.000 Reservisten beordert, also für einen Dienst in der aktiven Truppe vorgesehen. Generalinspekteur Carsten Breuer verwies kürzlich in einem Interview auf einen künftigen Bedarf von 260.000 Reservisten, ohne genaue Anforderungen zu nennen. Der Präsident des Reservistenverbands, Patrick Sensburg, fordert gegenüber ZDF frontal gar eine Million Reservisten - so viele wie im Kalten Krieg.
Fest steht: Die Reserve soll stark anwachsen. Doch interne Dokumente, die ZDF frontal vorliegen, zeichnen ein verheerendes Bild beim Thema Personal:
Die hier nach wie vor praktizierten Prozesse des [Personalamts] sind untauglich, was dort aber nicht zum Umsteuern führt. (...) Das vorhandene System ist nicht darauf angelegt, steigende Bewerberzahlen (...) verzögerungsfrei und transparent (...) zu bearbeiten.
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Bundeswehr-Papier
Die Bundeswehr sucht dringend Personal und setzt auf zivile Reservisten. Eine neue Division soll bei Krisen oder Naturkatastrophen helfen.22.03.2025 | 1:34 min
Bundeswehr-Bürokratie als "Schwarzes Loch"
Das Personalamt der Bundeswehr in Köln ist für aktive Soldaten und auch für Reservisten zuständig. Es entscheidet über deren Anträge - auch über den von Matthias Schütz. Sollten demnächst Tausende Wehrdienstleistende hinzukommen, droht Chaos.
In einer internen Präsentation, die ZDF frontal ebenfalls vorliegt, wird die Bundeswehr-Bürokratie gar als Schwarzes Loch dargestellt, das Akten und Menschen verschlingt:
Die Bundeswehr-Bürokratie als "Schwarzes Loch" - Auszug aus einer internen Präsentation der Bundeswehr.
Quelle: Bundeswehr
Was sagt die Bundeswehr zur Kritik aus den eigenen Reihen? Der zuständige Konteradmiral im Bundesverteidigungsministerium Axel Schulz beteuert: "Derzeit setzen wir alles daran, den Personalaufwuchs zu generieren, den wir brauchen. Wir lassen keinen Stein auf dem anderen. Wir machen alles, um letzten Endes ausreichend Personal für die Zukunft zu generieren."
Jeder Reservist und aktive Soldat muss eine Sicherheitsüberprüfung durchlaufen. Die führt das Bundesamt für den militärischen Abschirmdienst (BAMAD) durch. Eine Sicherheitsüberprüfung der Stufe eins dauerte 2024 laut Wehrbericht sieben Monate - viel zu lange, wie Experten kritisieren. Zudem ist die zuständige Abteilung im BAMAD nur zu 74 Prozent besetzt. Die schwarz-rote Koalition will die Sicherheitsüberprüfungen zwar beschleunigen, doch das Stellenproblem im Bundesamt wird dadurch nicht gelöst.
Bewerbung als Ungedienter: Abgewiesen im Karrierecenter
Die Bundeswehr frustriert nicht nur Reservisten, sondern auch solche, die es werden wollen. Maximilian Simon spielt als Berufsmusiker im Berliner Rundfunksinfonieorchester und hat keine Bundeswehr-Erfahrung. Er möchte sich als Ungedienter für den Heimatschutz ausbilden lassen. Die Bundeswehr hatte um Menschen wie ihn geworben. Doch im Karrierecenter bekommt er zu hören, man könne ihm derzeit nichts anbieten. Gegenüber ZDF frontal sagt Simon:
"Es ist nicht möglich als Ungedienter jetzt zu sagen: Ich möchte gerne irgendwas noch für dieses Land tun, weil ich das Gefühl habe, die Welt um mich herum fängt so peu à peu an zu brennen."
Das Problem: Das Interesse an dem Ungedienten-Programm ist groß, doch in diesem Jahr stehen nur 700 Plätze zur Verfügung - eine absurd wirkende Zahl angesichts des Personalbedarfs. ZDF frontal hat mit zahlreichen Bewerbern gesprochen, die wie Simon abgewiesen wurden. Wie die Ausbildung 2026 weitergeht, ist offen.
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Schaden für Ruf der Bundeswehr "erheblich"
In der internen Bundeswehr-Analyse werden genau solche Fälle bemängelt:
Der Bewerber muss den Eindruck gewinnen, dass die Bundeswehr eher zu einer Ablehnung seines Interesses kommt, als ihn in das System zu bringen.
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Bundeswehr-Papier
Die Konsequenz:
Der dadurch entstehende Reputationsschaden ist erheblich.
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Bundeswehr-Papier
Konteradmiral Schulz aus dem Verteidigungsministerium will einzelnen Fällen, wie er sie nennt, nachgehen: "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir jeden letzten Endes in die Streitkräfte bringen können, auch in die Reserve, der die Voraussetzungen erfüllt. Wenn es da Probleme geben sollten, werden wir sicherlich jedem einzelnen Fall, der sich bei uns meldet, nachgehen und dafür sorgen, dass er absehbar einen Ausbildungsplatz bekommt."
Die Bundeswehr kann Reservisten oft nicht kontaktieren und zu Übungen einladen. Das Problem: der Datenschutz. Der Reservistenverband verweist seit Jahren darauf, wie Präsident Patrick Sensburg gegenüber ZDF frontal berichtet: "Es bedarf dazu einer schlichten Änderung im Gesetz, dass die Bundeswehr wieder Einwohnermeldedaten abgleichen kann. Die Namen haben wir oft noch, aber wir wissen nicht mehr, wo die Personen wohnen, oder ob sie vielleicht, weil sie geheiratet haben, einen anderen Namen inzwischen führen."
Mit dem Ausmaß an Bürokratie, Wartezeit und Ablehnung wird es für die Bundeswehr schwer, den schnellen Aufwuchs der Reserve hinzubekommen, den sie erreichen will. Viel zu tun für den alten und neuen Verteidigungsminister Boris Pistorius, der die Personalprobleme - auch bei der Reserve - angehen sollte.