Schütteltrauma: Ursachen und Folgen kennen und verhindern

Tödliche Gefahr für Babys:Schütteltrauma - das unterschätzte Risiko

von Andrea Schuler
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Jedes Jahr sterben in Deutschland bis zu 50 Säuglinge, weil sie massiv geschüttelt wurden. Auslöser dafür sind meist Stress und Überforderung. Wie Aufklärung Leben retten kann.

Prävantion von Schütteltrauma
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Das Baby schreit und schreit und lässt sich nicht beruhigen. Die Eltern sind überfordert und hilflos. Kommt es jetzt zu einer einzigen unkontrollierten Handlung, einem heftigen Schütteln, kann das beim Kind innerhalb weniger Sekunden zu schweren Schäden führen. Schlimmstenfalls endet ein solches Schütteltrauma tödlich.

In Deutschland erleiden jährlich etwa 100 bis 200 Babys und Kinder unter zwei Jahren ein Schütteltrauma, auch Shaken Baby Syndrome (SBS) genannt. Das sind jedoch nur die offiziellen, von Kliniken gemeldeten Zahlen. Fachleute gehen von einer erheblichen Dunkelziffer aus.

Zehn bis 30 Prozent der betroffenen Kinder überleben die dabei entstandenen Hirnverletzungen nicht.
50 bis 70 Prozent der Betroffenen Kinder erleiden schwerste bleibende körperliche und geistige Behinderungen.
Nur etwa zehn bis 20 Prozent der Kinder überleben ein Schütteltrauma ohne bleibende Schäden.

Schütteltrauma ist schwere Form der Kindesmisshandlung

Ein Schütteltrauma entsteht, wenn ein Säugling oder Kleinkind heftig am Oberkörper gepackt und geschüttelt wird. Dabei wirkt sich das hohe Gewicht des Kopfes im Verhältnis zur schwachen Nackenmuskulatur des Babys fatal aus: Das Gehirn schlägt gegen die Schädelwände, es kommt zu Blutungen, Schwellungen und schweren Verletzungen. Beim Schütteltrauma handelt es sich daher um eine schwere Form der Kindesmisshandlung.
Laut Monica Pleul, Kinderschutzmedizinerin am Universitätsklinikum Dresden, beträgt das Kräfteverhältnis etwa 1:20, wenn ein erwachsener Mann ein drei Monate altes Baby schüttelt: "Das ist im Vergleich etwa so, als würden Erwachsene von einem Riesen geschüttelt, der sechs Meter groß ist und zwei Tonnen wiegt."
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Akute und langfristige Folgen auf ersten Blick nicht sichtbar

Die schweren Verletzungen sieht man betroffenen Babys oft nicht an. Denn auch akute Symptome sind meist unspezifisch. "In der Notaufnahme fallen uns neurologische Symptome wie Erbrechen, Schläfrigkeit, Apathie, Trinkschwäche und Krampfanfälle auf", erklärt Monica Pleul. Als weitere Folgen können Netzhaut- und Sehnerv-Verletzungen, Frakturen und Atemstillstand auftreten.

Die Symptome werden oft mit anderen Erkrankungen verwechselt.

Dr. Monica Pleul, Fachärztin für Kinder- und Jugendchirurgie

Eine sichere Diagnose, etwa von Hirnblutungen, Nervenschädigungen und Frakturen, liefern Röntgenbilder und Computer- oder Magnetresonanztomografie.
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Langfristige Folgen eines Schütteltraumas zeigen sich oft erst nach Monaten oder Jahren. Dazu gehören eine Vergrößerung des Kopfumfangs, der unwiderbringliche Untergang von Hirngewebe, Entwicklungsverzögerungen, Krampfanfälle sowie Seh- und Hörschäden. Viele betroffene Kinder leiden unter kognitiven Einschränkungen, Verhaltensproblemen oder dauerhaften Lähmungen.

Überforderung und Frustration als Auslöser

Das Schütteltrauma findet sich in allen gesellschaftlichen Schichten. Babys, die während der frühkindlichen Entwicklung viel Schreien, sind nachweislich gefährdet. Mit unkontrollierbarem Schreien gehen Versagensgefühle, zunehmender Stress und ein gestörter Nachtschlaf bei den Eltern einher.
All das kann Eltern an den Rand der Erschöpfung bringen. Kommen weitere Belastungen wie finanzielle Probleme, Bindungsstörungen, fehlende familiäre Unterstützung oder mangelnde Impulskontrolle dazu, steigt das Risiko für eine Affekthandlung.
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Umfragen zeigen, dass rund zwei Drittel der deutschen Bevölkerung nicht bewusst ist, dass schon ein kurzes Schütteln des Babys tödliche Folgen haben kann. Oft gilt Schütteln immer noch als nicht so schlimm wie Schlagen.

Schütteln ist ebenso wie Schlagen eine massive Gewalteinwirkung und stellt eine Straftat dar.

Dr. Monica Pleul, Fachärztin für Kinder- und Jugendchirurgie

Aufklärung über Schütteltrauma wichtig

Wissensvermittlung ist die wichtigste Präventionsmaßnahme, um ein Schütteltrauma zu verhindern. Deshalb setzen Kliniken, Jugendämter und Kampagnen auf Aufklärung. Eltern sollten frühzeitig lernen, wie sie mit Belastungssituationen umgehen können. Dazu gehört auch, dass es in Ordnung ist, sich Unterstützung zu holen.

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Präventionskurse, wie sie inzwischen in vielen Kliniken angeboten werden, vermitteln praxisnahes Wissen und bieten konkrete Hilfe. Auch das Vermitteln von klaren Handlungsempfehlungen in Stresssituationen, etwa das Baby sicher abzulegen und den Raum vorübergehend zu verlassen, schützen vor Handlungen im Affekt. Tiefe Atemzüge, kaltes Wasser über die Hände oder eine kurze Pause am offenen Fenster können helfen, ruhig zu bleiben.

In der Präventionsarbeit gegen das Schütteltrauma werden zunehmend Simulationspuppen eingesetzt. Sie zeigen durch Aufleuchten bestimmter Stellen im Kopf, welche Schäden im Gehirn beim Schütteln entstehen können.

Den Begriff Schütteltrauma kennen 42 Prozent der Bevölkerung zwischen 16 und 49 Jahren nicht. Das zeigt eine repräsentative Befragung des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH). Besonders anschauliche Aufklärung wie die Arbeit mit einer Simulationspuppe kann deshalb das Bewusstsein schärfen und das Risiko für Affekthandlungen senken.

Ein Schütteltrauma ist kein "kleines Versehen", sondern eine lebensverändernde Tragödie - für das Kind, für die Eltern und die gesamte Familie. Doch es ist vermeidbar: Mit Aufklärung, Wissen und einem starken Unterstützungsnetz der Eltern.


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Quelle: dpa

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