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Einstufung der Partei:Verfassungsschutz: Das steht im AfD-Gutachten
von C. Greipl, D. Heymann, S. Kantelhardt
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Über 1.000 Seiten, um Zweifel zu beseitigen: In der AfD dominieren die rechtsextremen Kräfte, so der Verfassungsschutz. Sein Gutachten ist das Protokoll einer Radikalisierung.
Das Volk als "Abstammungsgemeinschaft", Corona als "Plandemie" und Deutschland als "Vasall und Melkkuh Brüssels" - es sind nur einige Auszüge aus dem Gutachten des Verfassungsschutzes, auf dessen Grundlage der Nachrichtendienst die AfD nun als gesichert rechtsextremistische Bestrebung einstuft.
"Das jetzige Gutachten ähnelt stark der vorherigen Einschätzung des Verfassungsschutzes zur Verdachtsfall-Einstufung der AfD", sagt Luca Manns, Geschäftsführer der Forschungsstelle Nachrichtendienste. In dem neuen Gutachten würden die wesentlich gleichen Themenbereiche untersucht.
"Was sich verändert hat, ist vor allem die Nachweisschwelle", sagt Manns. Denn für die Einstufung als gesichert rechtsextremistisch gelten höhere Anforderungen als für die Einstufung als Verdachtsfall.
Der Verfassungsschutz hielt das Dokument bislang geheim. Doch am Dienstag veröffentlichte das Magazin "Cicero" das gesamte Gutachten - das dem ZDF ebenfalls vorliegt - auf seiner Internetseite. Bereits zuvor hatte der "Spiegel" über die Inhalte berichtet. Wer die 1.108 Seiten durchliest, findet Anhaltspunkte für Verfassungsfeindlichkeit in viele Richtungen. Entscheidend ist aber ein Aspekt: Wie definiert die AfD das deutsche Volk?
Der springende Punkt: Das Volksverständnis der AfD
Als der Verfassungsschutz die Hochstufung der AfD öffentlich machte, stellte er einen Begriff in den Mittelpunkt: das "ethnisch-abstammungsmäßige" Volksverständnis der AfD. Gleich zu Beginn der Belegsammlung widmet sich der Verfassungsschutz auf über 140 Seiten diesem Punkt.
Deutlich wird daraus: Deutsche sind für die AfD nicht gleich Deutsche. Vielmehr unterscheidet die Partei zwischen "indigenen Deutschen" und "Passdeutschen". So äußerte etwa der sächsische AfD-Chef Jörg Urban, es gebe selbstverständlich ein "deutsches Volk unabhängig vom Pass".
Noch weiter ging die AfD-Bundestagsabgeordnete Christina Baum: Sie forderte die Einführung eines "Wahlrechts nach Abstammung" und sprach in Bezug auf die Migrationspolitik der Grünen von einem "schleichenden Genozid an der deutschen Bevölkerung".
Eindeutig nicht zu dieser Bevölkerung gehören nach Ansicht der AfD Muslime. Von angeblicher Überfremdung, Invasoren und einer arabisch-muslimischen Landnahme ist im Bericht die Rede. "Wir sollen unterwandert und unterworfen werden", heißt es etwa in einem Facebook-Post von Christina Baum, auf den das Gutachten Bezug nimmt. Darüber hinaus diffamiert die Partei Muslime als gewalttätige, integrationsunwillige Kulturfremde.
Vor allem mit Blick auf die Migration von Muslimen verbreiten AfD-Politiker teilweise die Verschwörungstheorie vom sogenannten "Großen Austausch". Das Sächsische Oberverwaltungsgericht, das die Einstufung des dortigen Landesverbandes als gesichert rechtsextremistisch bereits im Januar letztinstanzlich bestätigt hat, geht in dem entsprechenden Beschluss ausführlich darauf ein:
"Insbesondere die immer wieder […] verwendeten […] Begriffe wie 'Umvolkung', 'Großer Austausch', 'autochthone Bevölkerung', 'Bevölkerungsaustausch', 'Ersetzung der deutschen Bevölkerung durch Migranten', 'Volksaustausch' oder 'indigenen Völker' gehen von einem ethnokulturellen Volksverständnis und einer Bedrohung des in diesem Sinne verstandenen Volkes durch die Masseneinwanderung kulturfremder Einwanderer aus.
Die vorgenannten Begriffe […] vermitteln die Vorstellung, wonach das ethnisch homogene deutsche Volk durch den Zuzug von Ausländern unterzugehen drohe und in seiner Existenz gefährdet sei beziehungsweise die heimisch angestammte Bevölkerung in einem schrittweisen Prozess durch (insbesondere außereuropäische) verdrängt und ausgetauscht wird." (Sächsisches OVG, 3 B 127/24)
Dies widerspricht, so das Gericht, dem Volksbegriff des Grundgesetzes und der Menschenwürdegarantie. Für die Verschwörungstheorie des "Großen Austausches" gibt es keinen wissenschaftlichen Anhaltspunkt.
Im Gutachten des Verfassungsschutzes geht es auf über 70 Seiten um die These des Großen Austauschs in der AfD. Darin finden sich Aussagen zahlreicher AfD-Politiker, die die Erzählung vom Großen Austausch aufgreifen. So warf zum Beispiel der thüringische AfD-Chef Björn Höcke der damals regierenden Ampel einen "Staatsstreich" vor, weil sie das Staatsvolk austausche.
"Insbesondere die immer wieder […] verwendeten […] Begriffe wie 'Umvolkung', 'Großer Austausch', 'autochthone Bevölkerung', 'Bevölkerungsaustausch', 'Ersetzung der deutschen Bevölkerung durch Migranten', 'Volksaustausch' oder 'indigenen Völker' gehen von einem ethnokulturellen Volksverständnis und einer Bedrohung des in diesem Sinne verstandenen Volkes durch die Masseneinwanderung kulturfremder Einwanderer aus.
Die vorgenannten Begriffe […] vermitteln die Vorstellung, wonach das ethnisch homogene deutsche Volk durch den Zuzug von Ausländern unterzugehen drohe und in seiner Existenz gefährdet sei beziehungsweise die heimisch angestammte Bevölkerung in einem schrittweisen Prozess durch (insbesondere außereuropäische) verdrängt und ausgetauscht wird." (Sächsisches OVG, 3 B 127/24)
Dies widerspricht, so das Gericht, dem Volksbegriff des Grundgesetzes und der Menschenwürdegarantie. Für die Verschwörungstheorie des "Großen Austausches" gibt es keinen wissenschaftlichen Anhaltspunkt.
Im Gutachten des Verfassungsschutzes geht es auf über 70 Seiten um die These des Großen Austauschs in der AfD. Darin finden sich Aussagen zahlreicher AfD-Politiker, die die Erzählung vom Großen Austausch aufgreifen. So warf zum Beispiel der thüringische AfD-Chef Björn Höcke der damals regierenden Ampel einen "Staatsstreich" vor, weil sie das Staatsvolk austausche.
Probleme mit Demokratie und Rechtsstaat
Daneben wirft der Bericht der Partei eine demokratiefeindliche Grundhaltung und die Missachtung des staatlichen Gewaltmonopols vor. Politische Entscheidungen sollen nicht rechtsstaatlich herbeigeführt, sondern gewaltsam durchgesetzt werden.
Zu dieser gewaltsamen Widerstandsrhetorik zitiert das Gutachten eine Aussage der AfD-Politikerin Anne Cyron: "Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie längst verboten. [...] Denke, dass wir ohne Bürgerkrieg aus dieser Nummer nicht mehr rauskommen werden."
Experte: Aussagen im Zusammenhang bewerten
Bei der Sammlung der Belege habe der Verfassungsschutz stets zwei Fragen klären müssen, sagt Nachrichtendienst-Experte Manns: "Es ging zum einen darum, ob einzelne Aussagen auch wirklich der Partei zuzurechnen sind. Zum anderen kam es darauf an, ob bestimmte Äußerungen durch den Kontext, in dem sie getätigt wurden, verfassungsfeindlich sind."
Beispiele dafür finden sich etwa in dem Kapitel zu antisemitischen Aussagen. Der Verfassungsschutz kommt darin zum Ergebnis, dass direkt geäußerter Antisemitismus nicht festzustellen sei. Doch die AfD verwendet immer wieder Chiffren wie "George Soros" oder "Globalisten".
Im Gutachten heißt es dazu: "In einigen Fällen werden mehrdeutige Begriffe kombiniert, die nur in Bezug aufeinander und/oder im konkreten Äußerungskontext als eindeutig antisemitisch erkennbar sind, während sie isoliert mehrere Lesarten zulassen."
Wie der Verfassungsschutz zu seiner Einschätzung kommt
Für seine Einschätzung hat das Bundesamt für Verfassungsschutz Äußerungen von 353 Personen aus dem AfD-Umfeld untersucht. Ein Großteil stammt von Funktionsträgern auf Bundes- und Landesebene. Es hat dazu öffentliche Äußerungen und Social-Media-Posts bewertet, bezieht sich aber auch auf Parteiprogramme, Grundsatzpapiere und Websites der Partei und ihrer Unterorganisationen.
Die Aussagen einfacher Parteimitglieder wurden nur dann herangezogen, wenn sie auf offiziellen Kommunikationskanälen oder Parteiveranstaltungen getätigt wurden.
Insgesamt macht der Verfassungsschutz drei Entwicklungslinien bei der Partei aus: Der AfD sei dem Gutachten zufolge eine "Popularisierung" gelungen, sowohl hinsichtlich ihrer Mitgliederentwicklung als auch hinsichtlich des guten Abschneidens bei Wahlen.
Zugleich sei die AfD immer professioneller geworden: Seit dem Austritt von Jörg Meuthen 2022 sei sie nach außen geschlossener aufgetreten und habe es geschafft, innerparteiliche Konflikte weniger in die Öffentlichkeit zu tragen.
Zunehmender Einfluss von Björn Höcke
Drittens - und das ist entscheidend für das Gutachten - fand eine "fortschreitende ideologische Homogenisierung der Partei" statt. Das liberal-konservative Lager um Jörg Meuthen habe immer weniger Vertreter.
Das Sagen hätten vielmehr die zentralen Personen aus dem ehemaligen Flügel, der formal 2020 aufgelöst wurden. Vor allem Björn Höcke konnte immer mehr Einfluss gewinnen und bestimmt nach Einschätzung des Verfassungsschutzes maßgeblich die Ausrichtung der Partei.
Die AfD hat umgehend gegen die Einstufung als gesichert rechtsextremistisch geklagt. Der Bundesverfassungsschutz gab daraufhin eine sogenannte Stillhaltezusage ab, mit der er sich verpflichtet, die Einstufung bis zu einer Entscheidung im Eilverfahren auszusetzen. Ob das Gutachten ausreichend belegt, dass die AfD gesichert rechtsextremistisch ist, werden am Ende die Gerichte entscheiden.
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